FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2020

Foto: © Photocreo Bednarek | stock.adobe.com A us der altgriechischen Mythologie weiß man: Mühsam auf den Berg hinauf- gewälzte Steine belohnen die Götter nicht unbedingt mit Erlösung. Ähnlich geht es den österreichischen Versicherungsunter- nehmen. Sie bekamen im Jahr 2018 nach mehreren gescheiterten Anläufen endlich ein neues Vertragsgesetz (VersVG). Es begrenzt die Möglichkeit, dass Kunden aufgrund kleinster Formfehler von langjährigen oder gar längst ausbezahlten Lebenspolizzen gewinnbringend „zurücktreten“ können. Das Problem: Teile des Gesetzes sind nicht EU- rechtskonform, wie ein Urteil des Euro- päischen Gerichtshofs (EuGH) im Dezember nahelegte. Für die Assekuranzen heißt das, der Stein muss wieder einmal rauf auf den Berg. Was den EuGH konkret stört, ist die österrei- chische Regelung wonach ein Kunde beim Rücktritt nur den Rückkaufswert (Prämien minus Abschlusskosten) erhält. Das verträgt sich nicht mit EU-Recht (siehe Gesetzestexte nächste Seite). Sofort preschten Verbraucher- anwälte vor: Man solle unerwünschte Verträge nach Aufklärungsmängeln durchleuchten, dann erhalte man Prämien plus Zinsen zurück. Außerdem sei die 2018er-Novelle ungültig. BMJ: Novelle in Diskussion Die Versicherungsunternehmen zeigten sich verärgert über die Stimmungmache. Das EuGH-Urteil sei komplexer, als manche In- teressenvertreter den Verbrauchern suggerie- ren, heißt es aus dem Branchenverband VVO gegenüber der Redaktion. Die Empörung ist verständlich: Ob es beim Rücktritt wirklich Prämien und Zinsen gibt, ist zum Beispiel laut EuGH keineswegs in Stein gemeißelt. Allerdings scheinen die Versicherer den EuGH-Spruch insgesamt herunterzuspielen. Sie sehen etwa kein Problem mit der 2018er- Novelle. Der EuGH habe nämlich nur zu Fäl- len aus der alten Rechtslage geurteilt, argu- mentiert der VVO. Aber wie es aussieht, hilft dieses Augenverschließen nicht, denn die vom EuGH bemängelten Alt-Passagen kommen in der neuen Rechtsordnung ebenso vor. So sieht es auch das Justizministerium (BMJ). Die Novellierung des betroffenen § 176 VersVG im Jahr 2018 könnte „seinem Wortlaut nach tatsächlich den Anforderungen in diesem Urteil widersprechen“, meint eine Ministeriumssprecherin gegenüber FONDS professionell. Die „Folgen des EuGH-Urteils“ könnten in eine von der Regierung ohnehin geplante VersVG-Änderung einfließen. „Ge- spräche dazu sollen noch im Jahr 2020 star- ten“, so die Sprecherin. Vorerst wird aber abgewartet, und dafür hat das BMJ gute Gründe: Obwohl bereits die alte Rechtslage den ungünstigeren Rückkaufs- wert vorsah, hat das die Richter nicht davon Der EuGH stellt das neue Gesetz infrage, das Versicherern die kostspieligen Spätrücktritte erspart. Eine Novelle bahnt sich an. Zurück an den Start Sobald der Stein oben ist, rollt er wieder runter. Sisyphos, unglücklicher Protagonist aus der griechischen Sagenwelt, hat offenbar auch beim problematischen Spätrücktritt von der Lebensversicherung seine Finger im Spiel. » Die Gerichte könnten mit unionsrechtskonformer Inter- pretation den Vorgaben des EuGH schon jetzt folgen. « Bundesministerium für Justiz Versicherungsrücktritte | Worum geht es? • Ausgangspunkt: Den Versicherungen wird vorgeworfen, ihre Lebensversicherungs- kunden seit den 1990er-Jahren nicht oder fehlerhaft über das gesetzliche Rücktritts- recht belehrt zu haben. Hintergrund: Das Gesetz dazu war damals komplex. • Die EuGH-Entscheidung 2013 (Endress gegen Allianz) und die Auslegung des OGH 2015 führten dazu, dass Kunden bei fehlender oder fehlerhafter Rücktrittsbelehrung unbefristet vom Vertrag zurücktreten können. • Viele Kapitalversicherungen performten schlecht – nicht zuletzt aufgrund hoher Kosten. Tausende Versicherte nutzten die OGH-Rechtsprechung aus: Wer eine man- gelhafte Beratung nachweisen konnte, konnte auch nach Vertragsende zurücktreten und bekam oft Prämien samt Zinsen rückerstattet. Aus dem Verlust wurde ein Gewinn. • Noch immer wird vor Gerichten über Details gestritten. Jüngstes EuGH-Urteil am 19. 12. 2019: • Schriftform ist kein Fehler (auch wenn das Gesetz keine Form ver- langt). • Österreichische Rückkaufswertregeln sind EU-rechtswidrig. • „Ewiger Rück- tritt“ bei Fehlinfo möglich, auch wenn der Kunde sich auf anderem Weg informierte • und auch wenn nationales Recht keine Regeln für Nicht- oder Fehlinfo kennt. • Ver- gütungszinsen können innert drei Jahren verjähren. Quelle: FONDS professionell 194 www.fondsprofessionell.at | 1/2020 fonds & versicherung I rücktrittsrecht

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