FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2018

Fotos: © polsterpics.com | Robert Polster , polsterpics.com | Robert Polster, Günter Menzl V irtual Reality (VR) schlug bei Filmlieb- habern vor fast 20 Jahren mit voller Wucht ein: 1999 löste der Blockbuster Matrix einen VR-Hype aus: Nicht zu wissen, ob man in einer echten oder einer kaum unterscheidbaren vorgegaukelten Welt lebt, war damals eine aufsehenerregende Story – weil für den durchschnittlichen Kinobesucher reine Fiktion. Wissenschaftler arbeiten freilich schon seit Jahrzehnten daran, die virtuelle Welt ganz real erlebbar zu machen. Seit gut fünf Jahren ist die Technik nun tatsächlich so weit entwickelt und so günstig, dass VR- Anwendungen auf breiterer Basis eingesetzt werden: Industriebetriebe schulen Monteure mittels VR-Brille für neue Anlagen, und Fall- schirmspringer proben in der virtuellen Welt, ob sie mit der Situation zurechtkommen, ge- nauso wie Feuerwehrschüler, die schwierige technische Problemstellungen in der fiktiven Umgebung beheben. Nun ist auch der österreichische Volksban- kensektor in diese Welt eingetaucht. Ab 2019 sollen nach und nach alle Kundenberater im Retailgeschäft Übungseinheiten mit einer Virtual-Reality-Brille erhalten – nach Eigen- angaben sind die Volksbanken damit die Ers- ten im Land. Dabei trainieren die Berater in der täuschend echten Umgebung einer Filiale, wie man Kunden anspricht, wie man ihnen bei Problemen hilft, wie man auf Argumente reagiert und welche Strategien für das Ver- kaufsgespräch gut sind. Rund 80 Mitarbeiter sollen im ersten Halbjahr 2019 bereits dran- kommen, sagt Barbara Czak-Pobeheim, Geschäftsführerin der Volksbank Akademie. Katapult in eine andere Welt FONDS professionell hat sich gefragt, was VR einem Berater bringt – Verkaufssituatio- nen kann man schließlich auch im Rollenspiel üben. Die Überraschung ist groß, wenn man die Brille mit dieser Einstellung aufsetzt. Sie ist eine Schleuder in eine andere Welt; keine vorgestellte oder nachzuspielende Welt, son- dern eine, die man wirklich erlebt. Anfangs steht man nur als Beobachter in der Bankfiliale, darf höchstens einen unacht- samen Schaltermitarbeiter darauf hinweisen, dass die Kundin am Geldautomaten ein Pro- blem hat. Doch die immersive Wirkung, also das echte Eintauchen in die Szene, ruft sofort echte Emotionen hervor. In diesem Fall Ver- legenheit: Während Berater und Kundin ins Gespräch kommen, sagt einem das erlernte Distanzempfinden: „Schau ein bisschen un- auffällig in der Filiale herum und tu so, als würdest du nicht jedes Wort mithören.“ Das geht natürlich nicht lange. Mit zunehmender Schulungsdauer muss sich der Betrachter im- mer aktiver einbringen. Er ist zuerst aufgefor- dert, über das Verhalten des Beraters zu urtei- len, und schlüpft dann selbst in diese Rolle. Spielerisch, aber ernsthaft Auffällig ist, dass man sich als komplett unvorbereiteter User – zumal ohne jegliche Schaltererfahrung – dennoch augenblicklich verantwortlich fühlt, die Situation zu regeln. Gefühlt sitzt man ja nicht im Seminar, son- dern einem echten Kunden gegenüber. VR- Learning ist sehr unmittelbar, es involviert emotional, ist spielerisch, triggert aber gleich- zeitig ernsthafte Handlungsimpulse. Das Besondere an dieser Schulungsbrille sei, das die Personen, mit denen man als Anwender virtuell interagiert, von Schauspielern dar- gestellt sind, und nicht wie so häufig bei VR- Videos von animierten Charakteren, sagt Christoph Schmidt-Martensson, CEO der Wiener Multimedia-Agentur Create.21st cen- tury, die die Brille technisch umsetzte. Ziel ist es, dass jeder Retailberater zumin- dest einmal mit der Brille trainiert, so Aka- demieleiterin Czak-Pobeheim. Eine Sitzung dauert eine Stunde. Das VR-Training solle nicht Schulungskomponenten ersetzen, son- dern das Ausbildungsprogramm ergänzen, das alle Berater durchlaufen müssen. Aus Sicht der Redaktion schmälert die geringe geplante Anwendungshäufigkeit die große Idee etwas. Immerhin hat VR enormes Potenzial, wie der Einsatz im Industriebereich Die österreichischen Volksbanken trainieren ihre Berater bald mit einer Virtual- Reality-Brille. FONDS professionell durfte das Gerät testen – und war erstaunt. Ziemlich real Barbara Czak-Pobeheim (l.), Chefin der Volksbank Akademie, steht gerade in einer virtuellen Filiale und macht einen Berater darauf aufmerksam, dass eine Kundin Hilfe braucht. Kollegin Rosa Dangubic assistiert. » Das VR-Coaching soll keine Schulungskomponenten ersetzen, sondern das Ausbildungs- programm ergänzen. « Barbara Czak-Pobeheim, Volksbank Akademie 230 www.fondsprofessionell.at | 4/2018 bank & fonds I vir tual reality

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