FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2018

126 www.fondsprofessionell.at | 3/2018 markt & stratgie I finanzkrise Die vollständi- gen Inter- views finden Sie unter fponline.de/ Lehman318 Jens Ehrhardt Jens Ehrhardt, Jahrgang 1942, gründete 1974 den Vermögens- verwalter DJE Ka- pital. Er ist immer noch Vorstands- chef des Pullacher Unternehmens. Wie haben Sie 2008 das Drama um die gescheiterte Lehman- Rettung erlebt? Lehman – zehn Jahre danach Mir war sofort klar, dass eine 600-Milliarden-Dol- lar-Pleite eine schwere Belastung für das Finanz- system sein würde. Mir war auch klar, dass dies ein großer Fehler der USA war. Die Lehre aus der Weltwirtschaftskrise 1929/32 musste sein, keine Banken in Konkurs gehen zu lassen. Wenn man bedenkt, was später veranstaltet wurde, um das verschuldungsbedingt geschwächte internationale Finanzsystem zu stabilisieren, so ist es umso unbegreiflicher, dass man seinerzeit nicht 100 Milliarden US-Dollar in die Hand genommen hat, um Lehman zu stabilisieren, statt später über vier Billionen US-Dollar via Quantitative Easing ins System schleusen zu müssen. Hatten Sie erwartet, dass die Krise so tief rei- chen und so um sich grei- fen würde? Ich hatte die Krise der US-Immobilienbranche rechtzeitig vorausgesehen. Mir war aber nicht klar, in welchem Ausmaß sich deutsche Kredit- institute bei faulen amerikanischen Immobilien- titeln engagiert hatten. Es handelte sich ja immer- hin um zirka eine Billion US-Dollar. Die Auswir- kungen waren somit größer als gedacht. Wo lagen Sie damals falsch? Welche Lehren haben Sie daraus gezogen? Ich war schon vor September 2008 sehr negativ für die Börsen gestimmt im Hinblick auf die vor- angegangene Hochzinspolitik der US-Notenbank und die schlechte Liquiditätslage, sodass die Leh- man-Pleite für unsere sehr defensive Anlagepolitik keine Rolle mehr spielte. Ich habe schon immer die monetären Einflussfaktoren für die Börsen für am weitaus wichtigsten gehalten. Die Finanzkrise führte dazu, dass ich diesen Faktor nochmals höher gewichtet habe. Ich lernte also, monetäre Einflussfaktoren noch mehr zu berücksichtigen, als ich dies ohnehin schon tat. Was könnte der Auslöser der nächsten Finanzkrise sein? Eine neue Eurokrise könnte ein Auslöser für eine neue Finanzkrise sein. Nicht marktwirtschaftlich fundierte Systeme wie der Euro sind auf die Dauer immer zum Scheitern verurteilt. Die Bail-in- Regulierung könnte in Europa zu einem Bank-Run führen. Auslöser könnte die politische Entwick- lung in Italien sein. Frank Fischer Frank Fischer, Jahrgang 1964, ist Vorstandschef von Shareholder Value Manage- ment. Er verant- wortet den Frank- furter Aktienfonds für Stiftungen. Das Erstaunliche an der Lehman-Pleite war, dass direkt im Anschluss an die Insolvenz die Markt- reaktion noch sehr verhalten war. Die eigentliche Katastrophe des kompletten Misstrauens der Banken untereinander kristallisierte sich ja erst in den Wochen danach heraus. Keiner wusste, wer diesen Sturm überhaupt überleben würde, als noch nicht klar war, wie Notenbanken und Politik diese Liquiditätsknappheit und die damit verbun- denen Risiken auffangen würden. Aufgrund des sehr hohen Derivatevolumens und des starken Engagements institutioneller Anleger im US-Subprime-Mortgage-Bereich war klar, dass die Auswirkungen dieser Krise sehr, sehr hart sein würden. Direkt im Anschluss an die Pleite war es aber nicht möglich, den genauen Umfang abzuschätzen. Genau diese Unsicherheit hat sich über Wochen ausgewirkt, weil keiner ge- nau wissen konnte, wie schlimm es wirklich wird. Die wichtigste Fehleinschätzung war, dass der vermeintlich sichere Hafen Gold erst einmal nicht funktionierte. Nur Cash und kurz laufende Staats- anleihen bester Bonität wurden als sicher ange- sehen. Der Impuls, sofort in die moderate Ver- werfung zu kaufen, war auch falsch. Man musste erst die gesamte Brandung dieser Katastrophe abwarten. Die Ereignisse wirkten über Monate in die Stimmung hinein. Erst dann war es möglich, zu Ausverkaufspreisen zuzuschlagen. Die Lehre ist, dass in Krisensituationen die Kavallerie kommt. Mit anderen Worten: Die Politik und die Notenbanken springen ein, um zu retten, was nicht rettbar aussieht. Derjenige, der Cash hat – etwa Warren Buffett –, ist in so einer Situation in der Lage, Überrenditen zu erzielen. Auslöser der nächsten Krise könnten wiederum die Schuldenberge sein, die erheblich gewachsen sind. Ferner gibt es überhaupt keine adäquate Wahrnehmung von Kreditrisiken mehr. Die Zinsen sind so niedrig, dass sie der Bonität der Institu- tionen nicht gerecht werden. Sollten die Zinsen steigen, sind erneute Unternehmens-, aber auch Staatspleiten die Konsequenz. Wenn Schulden weiter zunehmen und dann das Vertrauen zurück- geht, werden Risiken wieder adäquat eingepreist, und es kommt zur nächsten Krise. Henning Gebhardt Henning Gebhardt, Jahrgang 1967, ist seit Anfang 2017 Leiter Wealth und Asset Management bei Berenberg. Davor war er 20 Jahre bei der DWS. Ich war zu dem Zeitpunkt dienstlich in New York und habe die Nachricht also direkt vor Ort mit- bekommen. Wenn ich mich recht erinnere, war meine erste Reaktion nicht sonderlich stark, schließlich war die Krise schon ein paar Monate alt. Zuvor waren auch immer mal wieder Banken gerettet worden, andere waren pleitegegangen. Ein paar Monate zuvor waren schon Bear Stearns bei J.P. Morgan untergeschlüpft, Indy Mac zu- sammengebrochen, Fannie Mae und Freddie Mac unter staatliche Kontrolle gestellt worden. Lehman war einfach ein weiterer Finanzkonzern, für den es eben keinen Retter gegeben hatte – so mein erster Eindruck. Das Ausmaß hat mich überrascht. Die Wirkung der Lehman-Pleite entfaltete sich doch eher lang- sam und entwickelte auch erst diese gewaltige Wucht, als klar wurde, wie alles miteinander vernetzt war und wer wie auf welche Weise betroffen war. Lehman war sicherlich nicht der Auslöser der Finanzkrise, aber rückblickend wirkt es ein wenig wie der eine Dominostein, der die Kettenreaktion dann auslöste. Ich habe die Dimensionen unterschätzt. Als weni- ge Wochen später dann die Hypo Real Estate vor dem Untergang stand, war mir erst klar, dass wir eine wirkliche globale Krise haben. Das Ganze hat mich sensibilisiert, noch genauer hinzusehen: Wo liegen die Risiken, was kann schiefgehen? Und es hat mir damals auch die Bedeutung von Regu- lierung und von Corporate Governance deutlich gemacht. Auch wenn die Regulierungswut im Finanzsektor inzwischen ein bisschen weit geht. Solche Ereignisse sehen jedes Mal anders aus. Oft sind die Probleme sogar lange bekannt, ent- wickeln dann aber mit einem Mal eine unheilvolle Dynamik. Dass am US-Hypothekenmarkt etwas nicht in Ordnung ist, hatten wir schon Anfang 2006 intern diskutiert. Es dauerte dann aber fast drei Jahre, bis die Überschuldung ihre Wirkung entfaltet hat. Große Krisen sind zumeist Schul- denkrisen. Sie entstehen im Immobilien-, Unter- nehmens- oder Staatsbereich. Meist spielen Währungskredite dabei eine große Rolle. Foto: © DJE Kapital, Shareholder Value, Christoph Hemmerich, DWS, Acatis, Ethenea

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=