FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2018

markt & strategie I jean-claude trichet | ex-ezb 94 www.fondsprofessionell.at | 1/2018 Foto: © Christoph Hemmerich E iner der Starredner am diesjährigen FONDS professionell KONGRESS in Mannheim war der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, Jean- Claude Trichet. In seinem Vortrag bot er nicht nur eine aktuelle Gesamtschau der Geldpolitik weltweit, sondern auch eine fundierte Analyse, wie es überhaupt zum Ausbruch der Finanzkrise kommen konn- te (siehe dazu auch den Kasten auf Seite 98). Trichet warnte in seinem Vortrag da- vor, angesichts einer derzeit durchaus po- sitiven Wirtschaftsentwicklung allzu selbstzufrieden zu werden, da Politik und Finanzmärkte seiner Ansicht nach auch heute noch vor einem ganzen Berg uner- ledigter Aufgaben stehen. Einen Hoff- nungsschimmer bietet laut Trichet eine Entwicklung, die er als „konzeptionelle Konvergenz“ der Notenbanken weltweit be- zeichnet. Ein Gespräch mit einem Ökonomen, der die Geldpolitik in Europa und weltweit entscheidend mitgeprägt hat. Herr Trichet, Sie sind der erste Ökonom, der auf ein Phänomen hinweist, das Sie als „konzeptionelle Konvergenz“ unter den Zentralbanken weltweit bezeichnen. Was muss man darunter verstehen? Jean-Claude Trichet: Damit gemeint ist eine Erscheinung, die zum ersten Mal im Zusam- menhang mit der Finanzkrise von 2007 und 2008 zu beobachten war. Die Zentralbanken waren in dieser Zeit im Grunde der einzige Anker in einer Situation, in der die mit der Krise aufgekommenen Turbulenzen durchaus dazu hätten führen können, dass die Welt in einen Zustand vergleichbar der Großen De- pression, wie wir sie Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre erlebt haben, abglei- tet. Daher ist es aus meiner Sicht im Rück- blick bemerkenswert, mit welcher Klarheit und Bewusstheit die Zentralbanken in der Lage waren, angesichts der dramatischen Er- eignisse in den entwickelten Volkswirtschaften durchaus mutige und schnelle Entscheidungen zu treffen. Und man muss dabei betonen, dass sie dieses gemeinsame Vorgehen allein auf- grund der Schwere der Krise gezeigt haben, nicht etwa weil sie das in einem großen Mee- ting beschlossen hätten. Aber im Grunde blieb der Geldpolitik doch gar nichts anderes übrig? In der Rückschau mag das so erscheinen, aber man muss eines bedenken: Eine solche Kon- vergenz gab es vorher nicht. Die einzelnen Zentralbanken waren seit jeher mit sehr unterschiedlichen Volkswirtschaften, sehr unterschiedlichen Finanzstrukturen und sehr unterschiedlichen Herausforderungen kon- frontiert. Nimmt man noch die Unterschiede in Bezug auf historische und kulturelle Hin- tergründe sowie konzeptionelle Bezüge der einzelnen Zentralbanken hinzu, dann hätte es durchaus anders kommen können. Es hätte passieren können, dass der Schock der Krise unter dem Druck der Eigenheiten unterschied- licher Volkswirtschaften bis dahin ohnedies vorhandene Differenzen sogar noch verschärft hätte, wenn einzelne Notenbanken in einer Art selbstbezogenem Modus durchaus unter- schiedlich in Bezug auf den Einsatz politi- scher Instrumente oder geldpolitischer Kon- zepte agiert hätten. Worin hat sich diese Konvergenz am deutlichsten ausgedrückt? Es war wie gesagt kein tatsächlich koor- diniertes Agieren, aber es war schon er- kennbar, dass man einen gemeinsamen Weg in Bezug auf die Prävention syste- mischer Risiken, die aus der Krise hätten entstehen können, sowie die Mikrobeob- achtung von Bankaktivitäten eingeschla- gen hat. Letzteres war vorher nicht der Fall. Eine auch heute noch erkennbare Konsequenz aus dieser zunehmenden Konvergenz geldpolitischer Maßnahmen ist nicht zuletzt die Tatsache, dass heute alle Zentralbanken – zumindest jene, die zum IWF-Korb der Sonderziehungsrech- te gehören – die gleiche Definition von Preisstabilität verfolgen, was sich in einem heute einheitlich kommunizierten Inflationsziel von zwei Prozent ausdrückt. Wie beurteilen Sie die Situation heute? Sind wir aus dem Gröbsten heraus? Das kann man so sicher nicht sagen. Wir leben in einer Welt, die nach wie vor großen Gefahren und enormen Herausforderungen gegenübersteht. Andererseits hat doch der IWF seine Wachstumsprognosen auch für die ent- wickelten Länder gerade angehoben. Das war sogar schon die zweite Anhebung innerhalb von nicht einmal einem Jahr, der IWF hat – und übrigens die EZB in ähnlicher Größenordnung – die Wachstumsprognose für den Euroraum um insgesamt 0,7 Prozent- punkte auf 2,4 Prozent nach oben revidiert. Einer der Gründe dafür war sicher, dass nie- mand so recht erwartet hatte, dass gerade die europäische Wirtschaft, die im Zyklus durch- aus etwas den USA hinterherhinkt, zuletzt so stark gewachsen ist. Das entbindet aber mei- nes Erachtens nicht davon, dass man auch weiterhin eine erhöhte Wachsamkeit in Bezug auf die konjunkturelle Entwicklung an den Tag legen muss. Deshalb ist es sicher nicht angebracht, selbstgefällig zu werden, auch In seiner Zeit als EZB-Präsident hat sich Jean-Claude Trichet den Ruf des Garanten einer unabhängigen Geldpolitik innerhalb der Europäischen Zentralbank erworben. Heute warnt der renommierte Ökonom davor, in Selbstgefälligkeit zu verfallen, nur weil es bei der Entwicklung der Wirtschaft gerade gut läuft. „Wir sind in einer alarmierende » Im Rückblick ist es bemerkenswert, mit welcher Klarheit und Bewusstheit die Zentral- banken in der Lage waren, durchaus mutige und schnelle Entschei- dungen zu treffen. « Jean-Claude Trichet

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