FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2018

W enn Johannes Jacobi seine Arbeit im Research von Allianz Global Inves- tors (AGI) erklären soll, dann legt er einfach eine Plastikhülle auf den Tisch: Das Atari-Computerspiel zum Film „E.T. – der Außerirdische“ von 1982. Die Traumfabriken Hollywoods hatten bereits das ungeheure Vertriebspotenzial von Fanartikeln entdeckt. So sicherte sich der Medienkonzern Warner Communications die Rechte für ein Video- spiel auf Steven Spielbergs Kassenschlager und beauftragte seine Tochterfirma Atari, das Spiel noch zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt zu bringen. Ataris erfolgreichster Top- Programmierer wurde auf das Projekt ange- setzt. Und tatsächlich: In nur fünf Wochen war das Spiel in den Regalen. Zahlreiche Investoren hatten nach dem enormen Erfolg des Films auf einen hohen Absatz des Computerspiels gesetzt und in die Warner-Aktie investiert. Doch das Spiel ent- puppte sich als Flop. Tausende Exemplare blieben in den Läden liegen. Kritiker sprechen vom schlechtesten Computerspiel aller Zeiten. Für Atari geriet der Misserfolg zum Desaster, das Unternehmen ging unter. Auch Warner erholte sich nicht von dem Schlag. Einer der glück- losen Investoren zog ebenfalls Kon- sequenzen aus dem Drama: Allianz Glo- bal Investors. „Wir stellten uns die Frage, warum nicht einfach einer von uns in die Läden gegangen war und dort nachgefragt hatte, wie sich das Spiel denn verkauft“, berichtet Jacobi. Ein Abstecher in den nächsten Computer- laden hätte die aufgekommene Euphorie rasch abflauen lassen. Denn schon wenige Tage, nachdem die Exemplare in die Regale gekom- men waren, brachen die anfangs noch passab- len Verkaufszahlen dramatisch ein. Bei einer Nachfrage bei den Fachverkäufern wäre auch der Grund herausgekommen: „E.T. – der Au- ßerirdische“ hatte eine dünne Handlung und eine überholte Optik. „Das Spiel war schlicht- weg schlecht programmiert“, stellt Jacobi fest. Um solche Fehleinschätzungen entlarven zu können, gründete das Investmenthaus da- her ein eigenes Team. Dieses sollte sich da- ransetzen, jenseits trockener Bilanzkennzahlen und ausgeschmückter Firmenprognosen das wahre Potenzial von Absatzmärkten sowie von Unternehmen und ihren Produkten oder Diensten zu ergründen. Damit war 1984 die Abteilung „Grassroots Research“ geboren. Der Begriff ist der US-amerikanischen „Gras- wurzel-Bewegung“ entlehnt. Gemeint damit ist die Analyse eines Unternehmens oder Marktes ganz von der Basis. Tischreservierung als Test Allein ist die Tochter des Versicherungs- konzerns damit nicht. Auch andere Fonds- gesellschaften unterziehen ihre Analysen und Prognosen einem Abgleich mit der Realität, mal in Stichproben, mal systematisch in Mei- nungsumfragen. „Wenn wir etwa eine Restau- rantkette analysieren, dann blicken wir natür- lich zunächst auf die üblichen Bilanzzahlen“, berichtet etwa Kevin Collins, Fondsma- nager des US-Anbieters Alger. „Doch zusätzlich telefoniert ein Analyst einzelne Restaurants ab und fragt ab, ob für die kommenden Aben- de alle Tische reserviert sind.“ Solche Stichproben würden einen Eindruck geben, wie das Geschäft laufe. „Quar- talszahlen spiegeln nur die vergangene Ent- wicklung wider“, erläu- tert Collins. „Mit sol- chen Tests gewinnen wir zudem ein Bild, wie sich das Geschäft künftig entwickeln könnte.“ Ein anderes Beispiel ist die Steyler Bank. Das katholische Geldhaus bietet Fonds mit nachhaltigemAnsatz. Bei der Frage, ob sie in ein Unternehmen investieren, greifen die Port- foliomanager auch auf das globale Netzwerk der Steyler Missionare zurück. Sie bitten Pa- tres, Schwestern und Entwicklungshelfer vor Ort um Einschätzungen und Berichte über mögliche Missstände. Damit stützt sich die Auswahl der Unternehmen nicht allein auf theoretische Nachhaltigkeitsbewertungen, son- Lehre aus einem Desaster: Ein erfolgloses Com- puterspiel gab den Impuls für die Gründung einer speziellen Analy- setruppe. 76 www.fondsprofessionell.at | 1/2018 markt & strategie I research Foto: © Myst | stock.adobe.com; Oculo | stock.adobe.com; Archiv; Klaus Papenbrock, AGI, Daniel Banner | AGI Manche Fondsmanager verlassen sich nicht nur auf die Bilanzanalyse. Sie lassen Profis vor Ort recherchieren, wie es um ein Unternehmen wirklich bestellt ist. Die Feldforscher Junge Entdeckerin: Manche Zusammenhänge erschließen sich nicht allein aus der Theorie. Neue Entdeckungen fördert erst die Forschung draußen im Feld zutage.

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