FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2018

248 www.fondsprofessionell.at | 1/2018 steuer & recht I rücktrittsrecht Foto: © pict rider | stock.adobe.com; Doris Kucera D ie heimische Versicherungswirtschaft wird das leidige Thema „ewiges Rück- trittsrecht“ einfach nicht los. Nach einem Millionenvergleich und einer ver- pfuschten Gesetzesinitiative im Jahr 2017 steht derzeit neuerlich ein Showdown bevor. Darsteller in dem Stück sind die Regierung, Prozessfinanzierer, Gerichte, Rechtsexperten und natürlich die Versicherer selbst. Gestritten wird über die Antwort auf die Frage: Wird die Rückabwicklung von Lebenspolizzen 2018 erneut ein Millionengrab für die Versiche- rungswirtschaft, oder kann der Arm des Gesetzes den Konflikt bereinigen? Goldgräberstimmung Zur Erinnerung: Ausgelöst wurde die Pro- blematik durch eine OGH-Entscheidung aus dem Jahr 2015, die Klägern recht gab, die sich darauf beriefen, bei Abschluss ihrer fondsgebundenen Lebensversicherung nicht korrekt über ihre Rücktrittsrechte informiert worden zu sein (siehe Kasten nächste Seite). Die Höchstrichter gelangten zu dem Ergebnis, dass bei Belehrungsmängeln ein unbefristetes Rücktrittsrecht gelte. Da dies viele tausend Verträge betrifft, die vor dem Jahr 2012 abge- schlossen wurden, löste dieses Urteil eine Lawine entsprechender Forderungen von Kunden aus, deren Versicherungsverträge un- ter Wasser lagen beziehungsweise mit Verlust ausgelaufen waren. Aufgrund des Formfehlers kann selbst bei Verträgen, die beendet und ausbezahlt wurden, der Differenzbetrag zur Prämiensumme zuzüglich vier Prozent Zinsen verlangt werden. Überraschender Vergleich Die Versicherungsgesellschaften wehrten sich lange Zeit kategorisch gegen solche For- derungen und sprachen stets von „Einzelfäl- len“. Bis es dann im Oktober 2017 überra- schend zu einem Vergleich mit 7.000 Kunden kam. Diese hatten sich an den Verein für Kon- sumenteninformation (VKI) gewandt, dessen geballte Forderung die Versicherer zu einem Kompromiss bewog. Die Unternehmen zahl- ten „einen namhaften Betrag in zweistelliger Millionenhöhe“. „Eine Branchenlösung, weil man langwierige Rechtsstreitereien vermeiden wollte“, hieß es. Dass das nicht reichen wird, lässt die schiere Anzahl potenzieller Rückab- wickler vermuten. Der frühere Konsumenten- schützer und heutige Nationalratsabgeordnete Peter Kolba schätzt, dass insgesamt fünf Mil- lionen Verträge betroffen sein könnten. Die Versicherungsgesellschaften rücken aber wei- terhin nicht davon ab, dass es stets um „Ein- zelfälle“ geht. Abhaken können sie das leidige Thema jedenfalls nicht, denn es zieht neues Ungemach auf: Der Liechtensteiner Prozess- finanzierer EAS (Erste Allgemeine Schadens- hilfe AG) hat laut Eigenangaben mittlerweile weitere 6.500 Österreicher motiviert, für ihre Polizzen eine Rückabwicklung zu fordern. Dynamischer „Markt“ Im Hintergrund herrscht hier momentan ei- ne Goldgräberstimmung. Seit Jahresbeginn werben Prozessfinanzierer und Anwälte mit Nachdruck um Versicherungskunden, um an deren Ausstiegen mitzuverdienen. „Es ist mo- mentan eine enorme Dynamik in dem Markt“, schildert ein Prozessfinanzierer, der über das Vorgehen mancher Kollegen selbst den Kopf schüttelt. „Von Deutschland aus wurde in Westösterreich ein gesteuerter Strukturvertrieb aufgezogen. Da werden Hausfrauen in Mas- senveranstaltungen gedrängt, aus den Verträ- gen auszusteigen und gegen Provision auch Bekannte dazu zu bringen. Im Anschluss empfiehlt man den Leuten, das durch einen Rücktritt eingenommene Geld in Goldzertifi- katen anzulegen“, so der Beobachter. Auch beim Prozessfinanzierer EAS beob- achtet man eine Zuspitzung der Geschehnisse. Pakete, die bis zu 10.000 Verträge enthalten, sollen mitunter angeboten werden. Dabei ge- hen Makler, die so etwas gegen Provision an- bieten, auch Risiken ein: „Die Versicherungen drohen dem Makler, dass sie ihm die Be- Das „ewige Rücktrittsrecht“ bei Lebensversicherungen entwickelt sich zum ewigen Albtraum für Versicherer. High Noon im Rücktrittsstreit Der Spätrücktritt von der Lebenspolizze dürfte 2018 für die Versicherungen wieder teuer werden. Sie haben zuerst den Colt gezogen und gemeint, es gebe keine neuen Vergleiche. Doch hinter den Kulissen wird verhandelt und bezahlt. » Es ist momentan eine enorme Dynamik in dem Markt. In Westösterreich wurde ein regelrechter Rücktrittskunden- Strukturvertieb aufgezogen. « Vertreter eines Prozessfinanzierers

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